"Doch das hier war kein verdammtes Märchen."
Wie hat Robin die Nacht im Hotel eigentlich erlebt? Was ging ihr durch den Kopf, als sie Hals über Kopf geflüchtet ist? In dieser Bonusszene findest du Antworten darauf.
Denk dran: Falls du Begegnung in Red Oak Mountain noch nicht gelesen hast, besteht Spoilergefahr.
ROBIN
Lenny so zu sehen brachte mich um.
Die letzten Monate hatte äußerlich nichts mehr daran erinnert, was Ronald uns angetan hatte. Ihre Haut war geheilt. Ihr Körper ganz. Doch jetzt waren da die ganzen Wunden und Prellungen. Er hatte sie mit einem Stromkabel verprügelt. Sie getreten und geschlagen. Und er hatte sie gewürgt.
Ich hatte geglaubt, ich könnte meine Gefühle so wie früher einfach abschalten. Doch der Schalter funktionierte nicht mehr.
Mich an Roux festzuklammern war nicht richtig. Nicht in diesem verfluchten Moment. Aber ich wusste auch nicht, was ich stattdessen tun sollte.
Vor ein paar Stunden noch hatte ich davon geträumt, wie es wäre, mit ihm zusammenzusein. Ein Teil seines Lebens zu sein. Doch das hier war kein verdammtes Märchen – denn das Mädchen, das ich liebte und das mir alles bedeutete, wurde wegen mir fast totgeprügelt. Ich hatte sie bei Trish und Emmett gelassen. Sie ihnen anvertraut und sie dadurch beinah verloren. Wegen einer Dummheit.
Ich hätte sie niemals alleine lassen dürfen, um nach Roux Whitton zu suchen. Ich hätte bei ihr bleiben, mich um sie kümmern müssen – damit sicher war, dass nix und niemand sie jemals an diesem Ort zurückbringen konnte.
Als die Ärztin endlich ging, war die Wut in meinem Bauch zu einem Orkan angewachsen. Ich hasste Ronald fast so sehr wie mich selbst. Und der Sturm, der in meinem Herzen tobte, machte alles nur noch schlimmer.
Ich konnte kaum noch atmen.
Ich bekam keine Luft.
Diese Wände erdrückten mich.
»Rob … es tut mir leid, ich …« Als Lennys Stimme erstarb, fachte es das Feuer in mir an. Sie sollte sich nicht bei mir entschuldigen müssen. Sie sollte heil und unversehrt und gesund sein. Es war meine Schuld, nicht ihre.
Es dämmerte bereits, als ich aus dem Hotelzimmer flüchtete. Ich hetzte die Straßen entlang und fand, was ich suchte. Jede Stadt hatte ihre Schatten - auch diese.
Schon als Blake es mir angeboten hatte, hätte ich am Liebsten nach dem Joint gegriffen. Er kannte mich. Er hatte gewusst, was Lens Zustand mit mir anstellen würde. Dass ich ihn besser aushalten würde, wenn alles in Watte wäre.
Len sollte ein besseres Leben haben als ich. Ein Besseres als unsere Mom. Sie sollte außerhalb dieser Viertel und Straßen aufwachsen. Nicht in der Gosse, wie ich. Sie war so klug. Alles, was sie brauche, war eine Chance und ich wollte, dass sie sie bekam.
Ich wusste genau, warum meine Mom zu härteren Sachen gegriffen hatte. Der Schmerz war in ihr explodiert, er wucherte wie ein Geschwür – so wie jetzt in mir. Ich konnte es spüren. Diesmal besonders. Denn Roux hatte etwas in mir verändert. Er hatte einen Keim der Hoffnung in mir wachsen lassen. Die Hoffnung auf ein besseres, einfacheres, sichereres Leben.
Aber was war, wenn ich mir nur etwas vorgemacht hatte? Wenn alles, was ich haben konnte, der Dreck unter seinen Füßen war? Wenn alles, was ich ihm bedeutete, zu einem Nichts schrumpfen würde, sobald er erfuhr, wer Len und ich wirklich waren? Was, wenn alles, was ich gewagt hatte zu träumen, in dieser Blase zerplatzte?
Als ich high und in Watte getaucht im Hotelzimmer ankam, war Lenny auf dem Sofa eingeschlafen. Ihre Atemzüge gingen gleichmäßig und trotzdem sah sie noch immer aus, als hätte sie Schmerzen.
Ich hasste es, sie so zu sehen. Hasste, dass Ronald ihr das antun konnte. Schon wieder.
»Es geht ihr so weit gut«, erklang Roux Stimme hinter mir. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
Als ich mich umdrehte, stand er direkt vor mir. Mit diesem undurchdringlichen Blick. Seine Hand glitt an meinem Gesicht entlang, doch seine Berührung drang kaum durch den Nebel. Vermutlich grinste ich, doch ich hatte meine Gesichtszüge nicht mehr unter Kontrolle.
»Bist du betrunken?«
»Nein.« Ich lief los und streckte ich die Arme aus. Eine Weile drehte ich mich im Kreis, ehe ich mich nach einigen Minuten rückwärts auf das Bett im Nebenraum fallen ließ. »Eigentlich bin ich bloß high.«
Roux setzte sich neben mich. »Was hast du genommen?«
»Ein bisschen Gras, eine Pille und Wodka. Das Geheimrezept meiner Mum«, flüsterte ich. »Nach Lens Geburt, als er angefangen hat, mich zu verprügeln, hat sie es mir manchmal vorher gegeben. Es tut nicht so weh, hat sie gesagt. Alles ist damit ein einziger Nebel.« Ich spürte die Tränen in meinen Augen. Kämpfte dagegen an. Ich wollte nicht weinen. Wollte mich nicht schwach fühlen. Nie wieder. Doch … »Ich habe Len nicht beschützt. Diesmal war ich nicht bei ihr. Sie war ganz alleine zurück in dieser Hölle …«
Ein erstickter Laut drang aus meiner Kehle. Roux legte den Arm um mich und erst, als ich mein Gesicht gegen seine Brust presste, spürte ich, dass ich weinte. Er wiegte mich und das fühlte es sich schön an. Viel zu schön.
»Du bist jetzt bei ihr.« Ein sanfter Kuss auf meiner Stirn. »Und sie ist in Sicherheit. Niemand wird euch dorthin zurückbringen, das verspreche ich dir.«
Ich wünschte, ich könnte es ihm erzählen. Ihm alles erzählen. Und ich wünschte, er würde die Wahrheit sagen.
»Ich bin müde …« Ich konnte meine Augen nicht mehr offen halten, sie fielen einfach zu.
»Dann lass uns schlafen«, murmelte er und strich über mein Haar. Ich spürte, wie er die Stiefel von meinen Füßen streifte und dann seinen warmen Körper neben mir. Er hielt mich fest, während ich seine Hand umklammerte. So, als wäre sie der letzte Anker. Alles, was ich noch hatte.
Der Nebel saugte mich auf. Er brachte mich in die Dunkelheit, schenkte mir Erinnerungen und Schmerz, aber auch Stille.